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Tine GERM

Der Große Brunnen von Dubrovnik und die Frage seiner ursprünglichen Gestalt

Die Frage nach der ursprünglichen Gestalt des Großen Brunnens (Velika česma) von Onofrio della Cava in Dubrovnik hat in den letzten Jahrzehnten keine besondere Aufmerksamkeit erweckt, haben doch die meisten Forscher die von Hans Folnesics auf der Grundlage von Diversis Beschreibung Dubrovniks (Philippi de Diversis de Quartigianis Lucensis, Situs aedificiorum, politiae et laudabilium consuetudinum inclytae civitatis Ragusij ...) ausgearbeitete Rekonstruktion des Brunnens akzeptiert. Außer Diversis Beschreibung hat Folnesics sinnvollerweise auch Angaben aus dem überlieferten Vertrag zwischen dem Auftraggeber und dem ausführenden Meister berücksichtigt; aber auch die Tatsache, dass die Rekonstruktion mit Formen noch heute existierender spätmittelalterlicher Brunnen in Italien übereinstimmt, hat dazu beigetragen, dass sich Folnesics These durchgesetzt hat.

Eine wesentlich andere Rekonstruktion der ursprünglichen Gestalt des Großen Brunnens hat dagegen unlängst Renata Novak Klemenčič vorgeschlagen. Während Folnesics davon überzeugt ist, dass der Brunnen einen ursprünglich offenen Wasserspeicher mit einem zusätzlichen kleineren Becken in der Mitte hatte, aus dem sich eine kleine Säule mit einer steinernen Muschel erhob, vertritt Klemenčič die Ansicht, dass der Speicher des Großen Brunnens schon von Anfang an mit einer Kuppel bedeckt gewesen sei und dass die kleine Säule mit der Muschel auf der Spitze der Kuppel gestanden habe. Sie stützt sich dabei auf den Artikel 20 des Vertrags zur Ausführung des Brunnens, in dem eine „volta di matoni“ erwähnt wird. Da die erhaltenen Schriftquellen zu ungenau sind, als dass sich die ursprüngliche Gestalt des Großen Brunnens zuverlässig danach rekonstruieren ließe, hat Klemenčič zur Unterstützung ihrer These versucht, Darstellungen des Brunnens zu finden, die seine ursprüngliche Gestalt zeigen würden. Unter den bildlichen Darstellungen hebt sie besonders das Bild Antonio De Bellisas Maria mit dem hl. Blasius, dem hl. Franziskus und dem Modell von Dubrovnik (um 1657/58) aus dem Dominikanerkloster in Dubrovnik hervor. Aber das Bild ist im Hinblick auf seine späte Datierung und auf die Tatsache, dass der Große Bunnen zu der Zeit, als es gemalt wurde, sicher schon mit einer Kuppel bedeckt war (gebaut in den Jahren 1444/1446), nicht relevant. Als zweites Beispiel führt sie aus der gleichnamigen Dubrovniker Kirche die Skulptur des hl. Blasius an, der ein Modell der Stadt Dubrovnik in der Hand hält, die vermutlich in der Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden ist, obwohl es sich auch bei diesem Beispiel um ein Denkmal aus der Zeit handelt, als die Kuppel bereits gebaut war. Dass es nicht den urprünglichen Zustand des Brunnens zeigt, lässt das Modell von Dubrovnik erkennen, auf dem nämlich deutlich die neue Form der kurz nach 1464 vollendeten Minčeta Festung zu sehen ist, was bedeutet, dass die Stadtansicht den Zustand nach 1464 wiedergibt.

Andererseits aber erwähnt die Autorin mit keinem Wort den Holzschnitt im Buch Supplementum chronicarum von Jacob Philipp de Bergamo, der eine stark schematisierte Ansicht Dubrovniks (Ragusia citta in Dalmatia) zeigt. Onofrios Großer Brunnen ist darauf gut sichtbar und die Ähnlichkeit mit Folnesics Rekonstruktion ist offensichtlich. Die illustrierte Ausgabe des Supplementum chronicarum wurde im Jahr 1490 in Venedig gedruckt, aber wahrscheinlich entstand der Holzschnitt nach einer älteren Bildvorlage aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts. Eine derartige Hypothese wird durch die Tatsache gestützt, dass der Große Brunnen auf der Ansicht des Holzschnittes bereits dargestellt ist, wohingegen er die Stadtmauer vor ihrer Erneuerung und die Minčeta Festung in ihrem alten Zustand zeigt.

Die Frage, welchen Aussagewert der Holzschnitt hat, ist natürlich problematisch, denn es ist mehr als offensichtlich, dass sich in der Ansicht historisch erkennbare Architekturelemente und schematische Elemente, die die Stadt nur symbolisieren, verbinden. Trotz allem erkennen wir in dem äußerst vereinfachten Entwurf des Holzschnitts das urbanistische Merkmal Dubrovniks – die Achse der Hauptstraße Stradun, die mit dem Glockenturm des Franziskanerklosters auf der linken Seite und dem Glockenturm des Dominikanerklosters auf der rechten Seite der Stadtansicht angedeutet ist. Der große Onofriobrunnen steht an der richtigen Stelle zwischen dem Kloster St. Klara und dem Franziskanerkloster, nur dass er stark überdimensioniert ist und so als großartige Architektur wirkt. Der Meister bediente sich bei der Gestaltung der Ansicht der geltenden mittelalterlichen Methode der konzeptionellen Komposition, ein oder mehrere Schlüsselelemente hervorzuheben, an denen die Stadt identifiziert werden konnte. Dass sich der Autor der Ansicht Dubrovniks tatsächlich an dieses Prinzip gehalten hat, zeigt die Analyse der Stadtansichten, mit denen er das Supplementum chronicarum illustriert hat. In dem gegebenen Kontext ist vor allem die Darstellung Viterbos interessant, wo sich ähnlich wie auf der Dubrovnikillustration ein riesiger Brunnen hinter der Mauer über die Hausdächer erhebt. Es handelt sich um einen der zahlreichen öffentlichen Brunnen, für die das mittelalterliche Viterbo berühmt war. Der Meister hat also den Brunnen als jenes inhaltliche Element hervorgehoben, an dem die Stadt als Viterbo erkannt werden sollte. Wir können mit Recht daraus schließen, dass er auch die Ansicht von Dubrovnik auf ähnliche Weise entworfen hat, das sich zu jener Zeit des größten städtischen Brunnens in Dalmatien rühmen konnte.

Natürlich wäre es voreilig auf der Grundlage einer einzigen stark vereinfachten Holzschnittdarstellung auf die ursprüngliche Gestalt des Großen Brunnens von Dubrovnik zu schließen, aber dennoch deutet alles darauf hin, dass der Holzschnitt im Supplementum chronicarum die Richtigkeit von Folnesics Rekonstruktion noch zusätzlich bestätigt.