Quinzi AHAS 2nem

Alessandro QUINZI,

Die St. Martinskirche in Avče und die künstlerischen Aufträge des Grafen Leonhard in der Grafschaft Görz

Die mittelalterliche Kirche des hl. Martin in Avče im Soča-Tal, die unversehrt die Wirren des Ersten Weltkriegs überstanden hat, schmückt im Chor ein bedeutender Freskenzyklus, der in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts das Interesse einer Reihe italienischer Kunsthistoriker geweckt hat, vor allem Antonio Morassis und Andrea Moschettis. Von den slowenischen Forschern schrieben über die Kirche: France Stele, Ivan Komelj und Emilijan Cevc. Neuerliche Aufmerksamkeit wurde ihr mit den Ausstellungen Gotika v Sloveniji/Gotik in Slowenien in der Nationalgalerie in Ljubljana (1995) und Gotske cerkve v Posočju in goriških Brdih/Die gotischen Kirchen im Isonzo-Tal und im Görzer Hügelland in Görz (1996) gewidmet. Der Verfasser dieses Beitrags stellt in seinem Aufsatz die bauliche Anlage des Presbyteriums in die Abhängigkeit in spiritualibus von der italienischen Benediktinerabtei Rosazzo. Das Urbarium des Klosters aus dem Jahr 1538 enthält die Zusammenfassung - Glosse der Notarurkunde vom 13. 1. 1495, in der Abt von Rosazzo Pietro Dandolo und der letzte Graf von Görz Leonhard untereinander ihre Rechte hinsichtlich der St. Martinskirche in Avče festlegen. Aus der Glosse erfahren wir, daß bei der Kirche in Avče zur Zeit der Übereinkunft das Presbyterium bereits fertiggestellt war, daß das Wahl- und Präsentationrecht eines Priesters der Graf innehatte und schließlich, daß die Kirche schon vor 1495 zur Kaplanei erhoben worden war. Der zwar nur in der Kurzfassung erhaltene Notarakt ist also ein terminus ante quem für die Errichtung des Presbyteriums, während als terminus post quem das Jahr 1490 gelten kann, das fälschlicherweise als das Gründungsjahr einer selbständigen Pfarre angeführt wird. Graf Leonhard spielte bei der Erbauung des neuen Presbyteriums eine entscheidende Rolle, nicht nur wegen seines ius praesentandi sondern auch als Stifter der Ausmalung, wie es das Fresko Der hl. Leonhard mit dem Bittsteller zeigt. In der Mitte der Szene ist ganzfigurig der als Abt gewandete hl. Leonhard dargestellt und in dem knienden Gläubigen, dem der Heilige die Fesseln löst, vermag man das Bildnis des Grafen erkennen. Deutlich sichtbar sind nämlich noch die schulterlangen blonden Haare, ein gewissermaßen modisches Kennzeichen, das in allen Darstellungen des Grafen Leonhard aufscheint, die zu seinen Lebzeiten in Lienz entstanden sind. Auch der Meister von Avče, von dem man ansonsten wohl kaum Porträtähnlichkeiten erwarten würde, hat diese Eigentümlichkeit festgehalten. Anhand dieses "ständigen Attributs" identifizierte Mainrad Pizzinini den Grafen Leonhard von Görz auch in einem der drei Weisen auf dem Fresko Der Zug der heiligen drei Könige (1470-80) im nördlichen Seitenschiff der Pfarrkirche St. Andreas in Lienz.

Im Hintergrund der Darstellung des hl. Leonhard mit dem Bittsteller in Avče erhebt sich hinter der Stadtmauer eine mächtige viereckige Festung: die Burg in Görz, wie sie ähnlich auch auf einem mittelalterlichen Görzer Siegel dargestellt ist, den Božo Otorepec zeitlich in die zweite Hälfte bzw. in die letzten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts einordnet und die Darstellung als ein "recht realistisches Bild der damaligen Stadt" befindet. Allerdings entdeckt man einige recht wesentliche Unterschiede bei der Darstellung der Burg auf dem Fresko und jener auf dem Siegel, die wiederum der Iniziative des letzten Görzer Grafen zugeschrieben werden können. Die Zeitspanne von 1462 bis 1500, in der er allein in der Grafschaft herrschte, war auch eine Zeit in der die Adligen vielerorts ihre bewehrte Burgen und Schlösser zu bequemeren Wohnstätten umbauten. Außerdem sollte nicht übersehen werden, daß Graf Leonhard mit Paola Gonzaga verheiratet war, die in die alpenländische Grafschaft aus dem prächtigen Renaissanceschloss in Mantua gekommen war. Das Aussehen der Burg auf dem Fresko in Avče zu Beginn der neunziger Jahre des 15. Jahrhundert ist somit ein neuer und bedeutender Beitrag zu ihrer Baugeschichte.

Der Heilige befreit aber nicht nur den gefesselten Grafen, sondern auch die Grafschaft selbst. Aus welcher "Knechtschaft" wohl? Nun, in erster Linie rettet er sie aus der Türkennot, denn der Graf ließ ja eine Kirche erneuern, die 1478 von den Türken entweiht und verwüstet worden war, wie es Štefan Kociančič in seinem Beitrag schildert. Einen tieferen Sinn kann man aber auch in den Zwisten der Görzer Grafen mit Venedig finden. Die Republik war im Vergleich mit den Türken ein näherer und gefährlicherer Feind, der außerdem ganz unverhohlen danach trachtete, das Gebiet der Görzer Grafschaft an sich zu reißen. Graf Leonhard hatte mit der Erlangung des Präsentations- und Wahlrechtes die Kirche in Avče und damit auch sich selbst der alleinigen Aufsicht der Benediktinerabtei Rosazzo entzogen, die von Äbten aus venezianischen Geschlechtern regiert wurde. In der Freskenszene in Avče kann man aber aus der Assoziation des

Heiligen mit dem Grafen gleichen Namens und aus der Gegenüberstellung des heiligen Mönches als Schutzpatron der Gefangenen und der Abtei in Rosazzo auch einigen Spott in Richtung der weitaus überlegenen europäischen Großmacht zu See und zu Lande - der Serenissima wahrnehmen.