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Janez HÖFLER
 
Noch einmal zur sogenannten “böhmischen Straßenkarte” in den Sammlungen des Archivs der Republik Slowenien
 
Im vorliegenden Beitrag bespricht der Autor das Bruchstück einer handgeschriebenen mittelalterlichen geographischen Karte unbekannter Herkunft mit eingezeichneten Burgen und anderen Motiven, das Ende des 19. Jahrhunderts von einem ungenannten Liebhaber dem Historischen Verein für Krain in Ljubljana vermacht wurde und sich heute in den Sammlungen des dortigen Archivs der Republik Slowenien (Arhiv Republike Slovenije) befindet. In kritischer Auseinandersetzung mit einer früheren mangelhaften Veröffentlichung dieses Bruchstücks stellt er fest, daß es einen Teil des heutigen Litauen von Wilna bis zum Baltikum hin darstellt, an dessen anderem Ende im Einklang mit den alten Ptolomäischen Auffassungen Schottland liegt, symbolisiert durch eine Abbildung des schottischen Königs in seiner Burg. Obwohl von den eingetragenen Ortsnamen vorläufig nur Wilna (Vilnius) einwandfrei identifiziert werden konnte, lassen deren typisch polonisierte Wortformen keinen Zweifel daran, daß es sich eben um diesen Ausschnitt Nordosteuropas handelt, wobei man im Fluß mit der lateinischen Bezeichnung Albia die heutige Neris (Wilija) erblicken kann; die erforderlichen linguistischen und historisch-topographischen Untersuchungen dieses wichtigen Dokuments seitens der dazu berufenen litauischen Spezialisten stehen in Aussicht.
 
Entgegen der Auffassung, wonach man es dabei mit der Arbeit einer französischen bzw. Pariser Buchmalerwerkstätte vom Anfang des 15. Jahrhunderts (um 1408–1410) zu tun hat, mit dem sogenannten Orosius-Meister an der Spitze, der persönlich für die Burgenzeichnungen verantwortlich gewesen sein soll, kommt der Autor zum Schluß, die Karte müsse in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts (spätestens bis ca. 1390) und unter böhmischem Einfluß höchstwahrscheinlich in Polen entstanden sein. Den geschichtlichen Hintergrund dafür stellt wohl die im Jahre 1386 erfolgte Personalunion zwischen dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen dar, als der litauische Großfürst Jogaila nach der Taufe und der Heirat mit Hedwig, Tochter und polnischer Nachfolgerin des Ludwig des Großen von Anjou, als Wladislaw II. Jagiello in Krakau zum Polenkönig gekrönt wurde. Wenn auch die im Fragment beobachteten böhmischen Einflüsse aus der kulturgeschichtlichen Lage Polens im späten Mittelalter zu erklären sind, lassen sich die Handzeichnungen wider Erwarten schwer einer bestimmten böhmischen Buchmalerschule zuordnen; die Darstellung des Schottenkönigs mit seinem klassisch schönen Kopf frei von üblichen Stilismen zeigt vielmehr Affinitäten mit der Prager Parlerskulptur, und auch die Art und Weise, wie die Burgen in ihren Architekturelementen wiedergegeben und von der Folie plastisch abgehoben ausgeführt sind, verraten eher einen Bildhauer oder Baumeister als einen Buchmaler vom Beruf.